Den kalten Temperaturen und dem unwirtlichen Wetter geschuldet, mache ich mich, angezogen wie für eine Winterexpedition, auf den Weg zum Dachstein Museum. Das Museum liegt in der Ramsau, auf der steirischen Seite des Berges am Fuße des Dachsteins nahe Brandriedl. Es ist in der Austria Hütte untergebracht und über mehrere Wanderwege von Ramsau aus zu erreichen.
August – ich habe nicht mit diesem Kaltwettereinbruch um diese Jahreszeit gerechnet. Daher habe ich mich für den kurzen „Zustieg“ entschieden. Ich bin mit dem Bus bis zur Talstation der Dachstein-Gletscherbahn gefahren und von dort mache ich mich auf den Weg, üblicherweise ein Spaziergang ohne große Höhenunterschiede von ca 30 Minuten. Eine kurze Wanderung zwar auf einem manchmal schmalen Weg, der, nicht mit Kinderwagen, jedoch bei Schönwetter zu Fuß gut und ohne Anstrengung zu begehen ist.
Dichte Nebelschwaden und starker Wind begleiten mich heute auf meinem Weg auf 1.600 Meter Seehöhe. Außentemperatur um elf Uhr Vormittag plus 5 Grad. Vom Dachstein ist weit und breit nichts zu sehen. Auch die Austria Hütte liegt noch im Grau des Nebels. Seit Tagen regnet es immer wieder heftig. Dementsprechend matschig und rutschig ist der Weg an vielen Stellen. Nicht nur Menschen nützen den Weg, auch die Kühe gelangen über ihn auf ihre Weideflächen. Mancherorts vermischt sich das Regenwasser mit dem Kot und Urin der Tiere zu einem braunen, tiefen Rinnsal, das die gesamte Breite sowie ein Stück des Weges einnimmt. Das Ausweichen ist schwierig, links geht es bergauf und rechts steil bergab. Hin und wieder sind schon Teile des Pfades abgerutscht. Ich muss aufpassen, nicht auszurutschen oder gar talwärts abzugleiten.
Die Alpensymphonie von Richard Strauss wird heute neu arrangiert, denke ich. Sanft vereinzelt fallende Regentropfen wechseln sich mit heftigen Wolkenbrüchen, gegen die Steine peitschenden Regen sowie Windgeräuschen jeder Tonlage und Lautstärke ab. Hin und wieder mischt sich das ferne Glockengeläut der nicht sichtbaren Kühe auf den Weideflächen in die Musik, die heute von den Naturgewalten komponiert und aufgeführt wird.
Nach einer guten halben Stunde habe ich mein Ziel erreicht. Ich gönne mir einen wärmenden Tee in der Austria Hütte, bevor ich das Museum besuche.
Die Austria Hütte, eine Schutzhütte der Alpenvereinssektion Austria, liegt auf der Brandalm auf 1638 m. Sie ist die älteste Schutzhütte im Dachsteinmassiv. Sie wurde 1880 erbaut. Einst war sie das „Basislager“ für die Aufstiege vom Tal auf den Dachstein. Mit dem Bau der Mautstraße verlor sie diese Bedeutung zusehends. An klaren Tagen reicht von hier der Blick von der Dachsteinsüdwand zur Bischofsmütze und weiter zu den Hohen und Niederen Tauern, erklärt mir ein Einheimischer.
Besonders schön ist ein Besuch im Herbst, wenn sich die umliegenden Lärchenbäume goldgelb verfärben.
Das Dachstein Museum wurde nach einer Renovierung im Juni 2022 neu eröffnet. Die Dauerausstellung ist in fünf Themenfelder gegliedert und verbindet Regional- mit Alpenvereinsgeschichte:
- Auf den Berg blicken
- Zum Berg gelangen
- Am Berg sein
- Hinaufsteigen
- Sicher hinunterkommen
Der Dachstein ist ein Berg mit hoher Anziehungskraft sowohl für Bergsteiger*innen als auch Tourist*innen aus aller Welt. Zwei Bundesländer „teilen“ sich den Berg: Oberösterreich und Steiermark. Das im Süden von Oberösterreich gelegene Salzkammergut wirbt mit den Bildern des Hallstätter Gletschers, dem größten Gletscher des Berges, den davor liegenden Gosauseen und den Aufstiegsrouten auf den Dachstein. Die beiden steirischen Orte Schladming und Ramsau rühmen sich ob der Dachsteinsüdwand, der Dachstein Gletscherbahn sowie zahlreicher Klettersteige auf den Dachstein. Imposanter ist der Blick auf den Dachstein allemal von der steirischen Seite. Der Berg erschließt sich dem Betrachter nicht als ein einziger Berg, das Massiv teilt sich in Torstein, Mitterspitz und Dachstein.
Brennende Bischofsmütze (rechts) ©Sophie Stein
An manchen Tagen färbt die untergehende Sonne die Felswände mit einem Gemisch aus rot, rosa, orange. Man hat den Eindruck, die Berge würde glühen.
Vom hohen Dachstein fällt die Südwand, eine Kalkmauer, fast 900 Meter in die Tiefe. Eine Herausforderung für geübte Kletterer*innen. An klaren Tagen kann man mit dem Fernrohr im Dachstein Museum jeden Tritt der Kletterer*innen und ihren Gipfelsieg verfolgen. Die Pioniere der Dachsteinbesteigung waren oft Einheimische, die den Gemsen beim Klettern zusahen und dann ihren Wegen folgten, um den Berg zu bezwingen.
Der Dachsteinkalk hat sich vor ca. 200 Millionen Jahren im Obertrias gebildet, erfahre ich. Die abgestorbenen Meerestiere eines einstmals hier bestehenden Meeres, das Afrika und Europa trennte (Tethysmeer), begannen sich abzulagern. In den letzten 100 bis 60 Millionen Jahren entstanden die Gebirgszüge durch Pressung und Hebung aus den Tiefen dieses Meeres. Bei diesen Vorgängen wurden sie zerbrochen und übereinandergeschoben. Es finden sich auch viele Fossilien im Dachsteinkalk, erklärte mir die diensthabende Museumswärterin. Einige Exemplare sind auch im Dachstein Museum ausgestellt.
Im Spätmittelalter blühte der Bergbau in dieser Gegend. Der Fernhandel führte zu einer starken Nachfrage nach Edelmetallen wie Gold und Silber. Schladming wurde ein wichtiges Zentrum des steirischen Silberbergbaus. Schladming wurde bereits 1322 als Stadt bezeichnet. Mehr als 1500 Knappen sollen hier ihre Arbeit verrichtet haben, erfahre ich auch im Gespräch mit einem Museumsbesucher.
Die Dachstein-Gletscherbahn bringt in sechs Minuten die Gäste 1.000 Höhenmeter empor auf 2.700 m. Durch die Rundumverglasung der Gondeln eröffnen sich beeindruckende Aussichten in jede Richtung. Eine online-Reservierung für die Fahrt wird empfohlen, besonders in der Hochsaison an schönen Tagen, wenn man nicht stundenlang (in der Sonne) bei der Kasse bzw. beim Zugang anstehen will.
Der Ort Ramsau, der sich dem Besucher eigentlich nicht als Ort im herkömmlichen Sinn erschließt, sondern eher als eine weite Hochebene, gelegen oberhalb von Schladming am Fuße des Dachsteins, war ursprünglich Grünland mit Tierhaltung. Hauptsächlich Kühe und Schafe wurden auf den weiten Almflächen gehalten. Die Schafhaltung begünstigte die Lodenerzeugung. Eine einheimische Besucherin des Museums informierte mich, Loden wird aus reiner Schurwolle erzeugt. Der Lodenwalker benötigt für 35 – 40 m2 wasser- und winddichten Loden ca 100 m2 Stoff. Wasser ist für die Lodenerzeugung unabkömmlich. Der angeblich älteste Lodenerzeuger der Steiermark, gegründet im Jahr 1434, ist in Rössing/Ramsau beheimatet.
Die Hochebene Ramsau, gelegen auf ca 1000 bis 1350 Höhenmetern, erstreckt sich vom Westen nach Osten und hat eine Ausdehnung von ca 75 km. Ihre Sonnenlage begünstigt sommers wie winters den Tourismus. Aufgrund ihrer Höhenlage und meist guten Schneeverhältnissen im Winter hat sich die Hochebene zu einem nordischen Schisport-Zentrum entwickelt.
Der zunehmende Tourismus hat bereits die wirtschaftliche sowie bauliche Struktur des Hochplateaus verändert und verändert sie noch immer. Die Kühe auf den Wiesen wichen den Touristen auf den Wegen, die Bauernhäuser mutierten vielfach zu Fremdenpensionen, Gasthöfen und Hotels. Der Erfolg der hier gedrehten TV-Serie „Die Bergretter“ zeigt seine Schattenseiten. Herden von Bergretter-Fans stürmen den Ort zu den mehrmals pro Jahr veranstalteten Fan-Wanderungen. „Es reicht. Es ist zu viel!“, hört man nicht nur einmal von dem einen oder anderen Einheimischen im Ort. Im Dachstein Museum kommen auch kritische Stimmen von Einheimischen dem Tourismus gegenüber zu Wort.
Und wer die wahre Alpensymphonie, komponiert von Richard Strauss, hören will, der kann dies auch im Dachstein Museum tun. Gleich die erste Audio-Station im Vorbau des Museums ist diesem Thema gewidmet.